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Wer ist Flüchtling?

Über Menschen, Flucht und Grenzen

Flüchtlinge sind kein neues Phänomen. Seit es Krieg und Verfolgung gibt, fliehen Menschen bereits davor. Auch massenhafte Fluchtbewegungen sind keine Besonderheit unserer Zeit. Auf Grund der Massaker der Bartholomäus Nacht im Jahre 1572 in Paris, flohen über 200.000 Hugenotten nach England und in die Niederlande. Dies stellte damals etwa 1% der Gesamtbevölkerung Frankreichs dar. Im 17. Jahrhundert flohen die Pilgerväter vor der anglikanischen Kirche in England in die Niederlande. Und Isabella von Spanien vertrieb durch Zwangskonversion und Verfolgung auf Basis der Alhambra Dekrete im Jahre 1492 zwischen 130.000 und 300.000 Juden aus Spanien – bei einer Gesamtbevölkerung Spaniens von 850.000.

Obwohl Menschen die vor Krieg und Verfolgung fliehen kein neues Phänomen sind, so ist doch die Flüchtlingsproblematik eine Erscheinung der Moderne. Im Jahre 1938 schrieb der britische Politiker Sir John Simpson, dass eine Flüchtlingsproblematik in den internationalen Beziehungen so gut wie inexistent war. Mit dem Ersten Weltkrieg wurden Passkontrollen und Visaerfordernisse auf einer breiten Ebene eingeführt und damit die internationale Bewegung von Menschen kontrolliert. Als Folge daraus konnten Menschen Staatsgrenzen nicht mehr frei überqueren, sondern waren von der Ausstellung dieser Dokumente – eines Passes und eines Visums – abhängig. Die Idee, dass Staaten frei entscheiden können wer Zugang zu ihrem Territorium erhält und wer nicht, ist heute fester Bestandteil des Konzeptes staatlicher Souveränität. Demzufolge findet die internationale Bewegung von Menschen in einem Kontext statt, in welchem staatliche Souveränität eine sehr zentrale Rolle einnimmt.

Genau in dieser Problematik liegen die Anfänge des internationalen Flüchtlingsrechts. Wenn Staaten frei entscheiden können, wer ihr Territorium betritt, mündet dies in Situationen, in welchen Menschen fliehen und lediglich in einem oder wenigen Staaten Zuflucht finden. Im schlimmsten Fall kann dies dazu führen, dass Menschen überhaupt keinen Schutz finden, wie die tragischen Erfahrungen des Holocausts zeigten. Das Schiff M.S. Saint Louis mit 908 deutschen Juden an Bord war gezwungen wieder nach Europa zu segeln, nachdem die US-amerikanischen, kubanischen und kanadischen Behörden den jüdischen Flüchtlingen Zutritt verwehrten. Mehr als ein Viertel der jüdischen Flüchtlinge an Bord wurden nach ihrer Rückkehr nach Europa in Konzentrationslagern umgebracht.

Leider finden sich auch heute noch zahlreiche Beispiele für dieselbe Praxis und Problematik, wie etwa das Beispiel der Rohingya, eine ethnische Minderheit in Myanmar, zeigt.  Da die Rohingya nicht als Bevölkerungsgruppe anerkannt werden, haben diese auch keinen Anspruch auf die myanmarische Staatsbürgerschaft. Die systematische Diskriminierung und katastrophale Lage in ihrem Heimatland treibt viele Rohingya in die Hände von Schleppern und bewegt sie in Folge oft zu riskanten Bootsüberfahren in andere südostasiatische Staaten oder nach Australien. Im Sommer 2015 wurde berichtet, wie unzählige von ihnen auf kleinen Booten auf offener See festsaßen, weil sie kein Staat aufnehmen wollte und die Menschen immer wieder zur Rückkehr gezwungen wurden.

Flüchtling

Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 legt einerseits fest wer rechtlich als Flüchtling gilt und andererseits die fundamentalen Standards für die Behandlung von Flüchtlingen, wie etwa das „Verbot der Nicht-Zurückschiebung“ von Flüchtlingen (non-refoulement). Bis heute ist die GFK das wichtigste internationale Dokument für den Flüchtlingsschutz und gilt daher auch als „Magna Carta des Flüchtlingsschutzes“.

Die GFK bzw. das Protokoll zur GFK von 1967 wurde von nahezu allen Staaten dieser Welt unterzeichnet oder sie sind diesen beigetreten. Ursprünglich umfasste der Anwendungsbereich nur Flüchtlinge aus Europa die vor Ereignissen vor dem 1. Jänner 1951 geflohen sind. Da die zeitliche und geographische Beschränkung durch das Protokoll von 1967 aufgehoben wurde, ist diese heute Großteils irrelevant.

Nach Artikel 1A (2) der GFK ist Flüchtling wer sich

„aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder…politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will.“

Es ist zunächst Aufgabe eines jeden Staates selbst, den Schutz der Menschen unter seiner Hoheitsgewalt zu garantieren. Wenn aber ein Staat dieser Aufgabe nicht nachkommt, weil der Staat etwa selbst Verfolgungshandlungen setzt oder die Menschenrechtsverletzungen Dritter nicht verhindert, oder ihr nicht nachkommen kann, dann sind andere Staaten verpflichtet, den Schutz für diese Personen zu übernehmen. Die der Flüchtlingsdefinition zugrunde liegende Idee ist also, dass eine Person in einem Staat Schutz suchen kann, wenn sie von ihrem Heimatstaat nicht vor Verfolgung geschützt wird. Eine Verfolgung ist jedoch nur relevant, wenn eine Person auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität, religiöser oder politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt wird. Diese fünf Verfolgungsgründe werden Konventionsgründe genannt.

Es ist zudem erforderlich, dass sich die Person außerhalb ihres Heimatstaates befindet und somit bereits eine internationale Grenze überquert haben muss. Befindet sich eine Person auf der Flucht im eigenen Land ohne eine Staatsgrenze überquert zu haben, so spricht man hierbei von Binnenvertriebenen (internally displaced persons). Im Unterschied zur Genfer Flüchtlingskonvention gibt es keinen universellen völkerrechtlichen Vertrag über Binnenvertriebene. Das einzige rechtlich verbindliche Instrument zu Binnenvertriebenen ist die von afrikanischen Staaten beschlossene Kampala Konvention.

Eine Verfolgung durch den Staat ist nicht notwendig. Verfolgung kann auch durch nicht-staatliche Akteure, wie etwa Rebellen oder paramilitärische Gruppierungen, erfolgen. Wichtig ist hierbei jedoch, dass die staatlichen Behörden entweder keinen Schutz bieten wollen, weil sie etwa paramilitärischen Gruppierungen nahestehen oder sogar unterstützen, oder keinen Schutz bieten können, weil etwa Bürgerkrieg herrscht.

Verbot der Zurückweisung (Non-Refoulement)

Neben der Festlegung wer als Flüchtling gilt, ist der zweite zentrale Bestandteil der GFK das Prinzip des non-refoulement. Das Wort refouler entstammt dem Französischen und bedeutet zurückschieben oder zurückweisen. Nach Artikel 33(1) GFK verpflichten sich die Staaten keinen Flüchtling in ein Gebiet auszuweisen oder an ihren Grenzen abzuweisen, wenn sein Leben oder seine Freiheit bedroht sein würde. Das Leben oder die Freiheit des Flüchtlings muss auf Grund eines der fünf Konventionsgründe bedroht sein.

Der Schutz nach Artikel 33 GFK ist jedoch nicht absolut. Eng definierte Ausnahmen vom non-refoulement sind vorgeschrieben, etwa wenn eine Person eine ernsthafte Gefahr für die Sicherheit des Aufnahmelandes darstellt oder wegen eines besonders schwerwiegenden Verbrechens, etwa Mord, rechtskräftig verurteilt wurde.

Trotz seiner Anfänge im Flüchtlingsrecht reicht das Prinzip des non-refoulement heute weit darüber hinaus. Dieses wurde durch Gerichte fortentwickelt und bildet heute eine der zentralen Bestimmungen des Grund- und Menschenrechtsschutzes. So legte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits 1989 fest, dass niemand an einen Staat ausgeliefert werden darf, wenn der Person in diesem Staat Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Ebenso darf niemand an einen Staat ausgeliefert werden in welchem dieser Person die Todesstrafe droht. Im Gegensatz zum non-refoulement Prinzip nach Artikel 33 GFK basiert die Weiterentwicklung des non-refoulement durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf absoluten Rechten von denen keine Ausnahme gestattet ist. Diese Weiterentwicklung des non-refoulement Prinzips war maßgeblich für das Konzept des subsidiären Schutzes.

Die Rechte von Flüchtlingen

Neben den beiden zentralen Bestimmungen (die Flüchtlingsdefinition und das Prinzips des non-refoulement), legt die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Mindeststandards in der Behandlung von Flüchtlingen fest. Gewisse Bestimmungen wie etwa öffentliche Fürsorge, arbeitsrechtliche Regelungen (z. Bsp. Lohn, soziale Sicherheit) oder Erziehung schreiben eine Gleichbehandlung von Flüchtlingen mit Staatsangehörigen vor. Andere Bestimmungen, wie etwa Vereinigungsfreiheit oder Wohnungswesen, schreiben vor, dass Flüchtlinge nicht schlechter als Ausländer unter den gleichen Bedingungen behandelt werden dürfen. Anerkannten Flüchtlingen muss zudem die Einbürgerung erleichtert werden. In Österreich ist eine Einbürgerung für anerkannte Flüchtlinge nach sechs Jahren möglich. Die GFK schreibt zudem vor, dass kein Flüchtling wegen unrechtmäßiger Einreise oder unrechtmäßigen Aufenthalts bestraft werden darf und dass ein Staat anerkannten Flüchtlingen auf Antrag Reisedokumente (sogenannter Konventionspass) ausstellen muss.

Wirtschaftsflüchtlinge?!

Der oft verwendete Begriff des Wirtschaftsflüchtlings existiert rechtlich nicht. Flüchtling ist lediglich wer von der Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlingskonvention erfasst wird. Die Zusammensetzung des Begriffs kombiniert einen definierten Rechtsbegriff („Flüchtling“) und einen für das Flüchtlingsrecht irrelevanten Begriff („Wirtschaft“).

Obwohl rechtlich irrelevant hat die Verwendung des Begriffs Wirtschaftsflüchtling soziale und politische Konsequenzen. Einerseits werden legitime Flüchtlinge, illegitimen Migranten gegenübergestellt, die oft auch als illegal bezeichnet werden. Zugleich wird auch der Flüchtlingsbegriff durch die sprachliche Vermischung delegitimiert. Ein Flüchtling ist demnach auch immer eine Person die potentiell aus ökonomischen Gründen ihren Heimatstaat verlassen hat. Die Konsequenzen sind nicht nur gesellschaftliche Vorurteile, sondern auch institutionelle Befangenheit gegenüber Flüchtlingen. Die institutionelle Befangenheit von per Gesetz zur Unbefangenheit verpflichteten Asylbehörden führt zu einer Aushöhlung menschenrechtlicher Verpflichtungen, wie etwa das Recht auf ein faires Verfahren.

Klimaflüchtlinge

Die Auswirkungen des globalen Klimawandels sind Ursache für Flucht und Migration. Prognosen schätzen, dass durch die Folgen des Klimawandels bis 2050 bis zu einer Milliarde Personen gezwungen werden ihre Heimat zu verlassen. Der Begriff Klimaflüchtling ist weder Bestandteil der Genfer Flüchtlingskonvention, noch eines anderen völkerrechtlichen Vertrages. Eine rechtliche Definition des Begriffs „Klimaflüchtling“ scheint auch nicht sehr sinnvoll zu sein. Einerseits überqueren Menschen auf der Flucht vor Naturkatastrophen internationale Grenzen, andererseits bleiben sie in ihren Heimatstaaten. Zudem ist es in den meisten Fällen wissenschaftlich unmöglich einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Naturkatastrophe und dem Klimawandel nachzuweisen. So vermeidet etwa die Nannsen Initiative, ein staatenbasierter Prozess welcher Vorschläge zum Umgang mit Flucht, Klimawandel und Naturkatastrophen erarbeitet, den Begriff Klimaflüchtling und verwendet stattdessen den differenzierteren Begriff „Katastrophenvertriebene“.

Stefan Salomon

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